Michael Gregorius

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Recht / Arbeits-/Sozialrecht 
Dienstag, 22.11.2022

Selbstbestimmungsrecht von Rollstuhlfahrern - Krankenkasse muss elektrisch unterstütztes Zuggerät zahlen

Dem Wunsch- und Wahlrecht von Behinderten bei der Hilfsmittelversorgung ist weiter Raum zu gewähren. Das entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az. L 16 KR 421/21).

Ein 49-jähriger, querschnittsgelähmter Mann war bislang mit einem Aktivrollstuhl nebst mechanischem Zuggerät (Handbike) versorgt. Wegen nachlassender Kraft und zunehmender Schulterbeschwerden beantragte er bei seiner Krankenkasse ein elektrisch unterstütztes Zuggerät. Die Kasse lehnte den Antrag ab und bot dem Mann stattdessen einen Elektrorollstuhl an. Ein elektrisch unterstütztes Zuggerät möge zwar wünschenswert, hilfreich und sinnvoll sein. Gleichwohl stelle es eine nicht notwendige Überversorgung dar, weil die Basismobilität auch mit einem rein elektrischen Hilfsmittel gesichert werden könne, das nur rund die Hälfte koste. Der Mann lehnte einen Elektrorollstuhl jedoch ab. Eine rein passive Fortbewegung sei für ihn keine adäquate Alternative, da selbst der Medizinische Dienst einen Elektrorollstuhl in seinem Falle als „Zumutung“ bewertet habe.

Das Landessozialgericht hat die Krankenkasse zur Kostenübernahme verurteilt. Ein querschnittsgelähmter Versicherter könne nicht gegen seinen Willen auf einen rein passiven Elektrorollstuhl zur Erschließung des Nahbereichs verwiesen werden, wenn er lediglich eine elektrische Unterstützung benötige. Bei der Prüfung des Anspruchs auf ein solches Hilfsmittel dürfe das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden. Dies folge aus einer grundrechtsorientierten Auslegung, den Teilhabezielen des SGB IX und der UN-Behindertenrechtskonvention. Dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen sei volle Wirkung zu verschaffen. Die Leistung müsse dem Berechtigten viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung der Lebensumstände lassen und die Selbstbestimmung fördern. Im Falle des Klägers widerspräche eine nicht gewünschte Versorgung mit einem Elektrorollstuhl dem Selbstbestimmungsrecht des Behinderten.

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